05.05.2024 - Theater des Westens/ Berlin

KU’DAMM 59
Das Erfolgsmusical geht in die nächste Runde

Weibliches Empowerment, sexuelles Erwachen und gesellschaftlicher Wandel  -Dass sich mit diesen Themen nicht nur Fernsehgeschichte, sondern auch großartiges Musiktheater schreiben lassen, hat das Stück KU’DAMM 56 im Berliner Theater des Westens bereits eindrucksvoll bewiesen. Das Musical von Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Annette Hess erhielt 2022 vier Musical Theater Preise und überzeugte knapp 350.000 Besucher*innen. Ähnlich der gleichnamigen Serienvorlage geht nun auch die Musicalversion der Geschichte rund um die drei Schöllack-Schwestern in die nächste Runde: Am 5. Mai feierte die Fortsetzung des Überraschungserfolges, KU’DAMM 59, umjubelte Premiere im Berliner Theater des Westens.

Bereits nach den ersten Tönen in der von uns besuchten Vorstellung wurde spürbar, dass der zweite Teil der KU’DAMM Reihe die Energie seines Vorgängers scheinbar mühelos aufgreifen und daran anknüpfen kann. „Ich versprech‘ dir“ ist eine gefühlvolle Eröffnungsnummer, die den Status quo der Schwestern Monika (Celina dos Santos), Eva (Isabel Waltsgott) und Helga (Pamina Lenn) zeigt, die, wie auch im ersten Teil, im Zentrum der Handlung stehen. Trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe haben alle drei mit der anhaltenden Unterdrückung zu kämpfen, denen Frauen im Berlin der 1950er Jahre ausgesetzt waren. Anders als ihre Mutter Caterina (großartig: Katja Uhlig) fügen sie sich ihrer vorgesehen Rolle jedoch nicht, sondern versuchen – jede auf ihre Art – das ihnen von der Gesellschaft angelegte Korsett aus Zwängen und Verpflichtungen aufzusprengen und sich zu emanzipieren. Gleichermaßen humorvoll und tragisch verweben sich ihre Handlungsstränge dabei untrennbar miteinander und erzählen neben dem omnipräsenten Sexismus von Themen wie Homophobie, dem aufkommenden Ost-West-Konflikt und den tiefen Spuren, die die NS-Zeit hinterlassen hat. All dies geschieht vor einer Kulisse, die widersprüchlicher nicht sein könnte: Am Set eines klassischen Heimatfilmes, an dem sich vor allem Eva und ihre Mutter Caterina wiederfinden. Kitschnummern wie „Hotel am Wolfgangsee“, in denen von der perfekten heilen Welt gejodelt wird, spiegeln den Eskapismus der späten 50er Jahre wider. Dessen Scheinwelt wird durch den ständigen Kontrast mit der Brutalität der Zeit im Laufe des Stückes ad absurdum geführt und endet auf die einzig mögliche Weise: Im puren Wahnsinn. Der wirkt. Und wie.


Diese Wirkung ist neben der Geschichte vor allem der großartigen Musik des Autorenteams Plate, Sommer und Lange zu verdanken, die genauso vielseitig ist, wie die Handlung selbst. Die Mischung aus Feel-good-Pop, Balladen und tanzbaren Hymnen geht sofort ins Ohr, ist eingängig und schafft es im Laufe des Stückes immer wieder zu provozieren, zu kontrastieren und den richtigen Ton für eigentlich Unsagbares zu treffen. Wer hier zuhört, hat Spaß – ein Resultat einer hervorragenden Leistung des gesamten Teams, der hauseigenen Band The Monikas und der durchweg hervorragend besetzten Cast.

Die Liste von Namen, die hier besonders hervorgehoben werden können, ist lang. Das liegt auch an der Vielzahl starker Handlungsstränge, die sowohl Raum für einzelne als auch gemeinsame schauspielerische und stimmliche Höhepunkte bietet. So sorgen die Darstellerinnen der drei Schöllack-Schwestern Isabel Waltsgott, Celina dos Santos und Pamina Lenn vor allem mit Authentizität und dem Ausbrechen zarter und starker Gefühle für wirkungsvolle, aber echte Bühnenmomente. Katja Uhlig, die für ihre Darstellung der Mutter Caterina Schöllack bereits im ersten Teil mit dem Musical Theater Preis ausgezeichnet wurde, bietet auch dieses Mal herrlich passgenaue Dramatik in ihrem Spiel, das am besuchten Abend wohl nur von einer Sache noch überboten wird: Ihrer stimmlichen Leistung. Für Steffi Irmen, für die die Fernsehrolle des ehemaligen Nazi-Filmproduzenten kurzerhand zur Produzentin umgeschrieben wurde, ist es ein leichtes, die Stimmung im Saal mit viel Humor und großen Shownummern anzuheizen.


Das Bühnenbild von Katrin Nottrodt ist schlicht, aber wirkungsvoll: „ [Es] basiert auf der Grundidee, den schwarzen Theaterraum, in seiner technischen Nacktheit und mit seinen angesammelten Gebrauchsspuren, vorzuführen“. Vereinzelte fahrbare Module und die auf der Bühne verortete Band runden das Stimmungsbild ab, lassen aber genug Raum für die eigentlichen Stärken des Stückes und zeigen wieder einmal, dass wirklich gutes Musiktheater völlig ohne pompöse Bühnentechnik auskommt. Ähnliches gilt für die Kostüme von Esther Bialas: Sie akzentuieren die Handlung durch farbige und vereinzelt provokant geschnittene Highlights auf gelungene Weise, ohne dabei zu aufdringlich zu werden.

Mit KU’DAMM 59 hat die Stage Entertainment wohl eine der vielversprechendsten deutschen Musicalproduktionen der letzten Jahre auf die Berliner Bühne gebracht. Stärken hat dieses Musical eine Menge, die Magie liegt für uns jedoch zwischen den Zeilen dessen, was auf der Bühne gezeigt wird. Aller inhaltlichen Schwere der einzelnen Handlungsstränge zum Trotz liegt am Ende des Stückes nämlich in der Luft, was sie alle miteinander verbindet: Die Hoffnung auf eine Welt, in der Mensch Mensch sein und Liebe bedingungslos gelebt werden darf. Und dass das keine Utopie bleiben muss, wenn man den Blick weg von Schwarz-Weiß und hin zu den bunt angemalten Grauflächen der „Liebmichallee“ wendet. Das berührt und wirkt tief – auf doppelter Ebene. Denn während uns die Beine an diesem Abend fast tanzend aus dem Theater tragen und wir ganz erfüllt sind von den großen Bühnenemotionen, hallt die mahnende Botschaft des Autor*innenteams gleichlaut zwischen den Ohren: „Es ist ein Blick zurück in eine andere Zeit, eine andere Welt, aber die Herausforderungen, das Erkämpfte zu bewahren […] bleibt ein Teil des Hier und Jetzt. Für uns steht fest, dass wir ohne den Blick zurück, niemals verstehen können, warum es so wichtig ist, nichts als Selbstverständlichkeit anzusehen.“

Dem haben wir abschließend nur noch zwei Worte hinzuzufügen: Hin da.

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6 von 6 Sternen:
★★★★★★
                         Kritik: Laura Schumacher;
                         Fotos: Jörn Hartmann, Dominic Ernst & sundstroem

Mehr Infos unter: www.stage-entertainment.de




 

 

 

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