24.09.2025 - Freie Bühne Wieden/ Wien
ABSERVIERT
Szenische Lesung
Der ehemalige Spitzenpolitiker der ÖVP, Bernhard Görg, selbst mit den Mechanismen politischer Macht vertraut, widmet sich in seiner Komödie ABSERVIERT einem hochaktuellen und zugleich zeitlosen Thema, dem Moment, in dem Macht schwindet und langjährige Freundschaften im Geflecht aus Selbstinszenierung und Eitelkeit zerbrechen.
Was zunächst wie ein kultiviertes Abendessen unter alten Weggefährten beginnt, entwickelt sich im Verlauf des Abends zu einem dichten Kammerspiel über den Verlust von Einfluss und die Frage, wie viel Würde dem Menschen im Augenblick des Scheiterns bleibt.
Das Ensemble trägt den Abend mit beeindruckender Leichtigkeit.
Kurt Hexmann verleiht dem christlich-sozialen Politiker eine Mischung aus jovialer Selbstgewissheit und bröckelnder Autorität.
Andreas Roder überzeugt als Sozialdemokrat, der zwischen Loyalität und verletzter Eitelkeit zerrissen ist. Sein kontrolliertes, subtil nuanciertes Spiel vermeidet jede Übertreibung und gewinnt gerade dadurch an Intensität.
Gerhard Kartel verkörpert den Manager als ruhigen, beinahe kühlen Beobachter, der lange im Hintergrund bleibt, um im entscheidenden Moment mit kalkulierter Präzision zu agieren. Diese kontrastierenden Spielweisen sorgen für ein Spannungsfeld, das den Abend trägt.
Besonders hervorzuheben ist das Zusammenspiel der drei Darsteller. Ihre Dialoge entfalten eine bemerkenswerte Lebendigkeit, da die Figuren hör- und sichtbar aufeinander reagieren, ohne in theatralische Gesten zu verfallen.
Görgs Text lebt von subtiler Ironie und präziser Sprache. Die Figuren sprechen in der geschmeidigen Rhetorik der Politik. Sätze, die oberflächlich glatt und höflich klingen, zugleich aber von Unterschwelligen und versteckten Anschuldigungen durchzogen sind. Das Lachen des Publikums entsteht weniger durch Pointen als durch das Erkennen der Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten, zwischen äußerer Fassade und innerem Zerfall.
Trotz seiner klaren Verortung im österreichischen politischen und wirtschaftlichen Kontext entfaltet Abserviert eine universelle Dimension. Der Verlust von Einfluss, die Angst vor Bedeutungslosigkeit und die Tendenz, die eigene Biografie zu verklären, sind Themen, die weit über den engeren Kreis von Politik und Management hinausreichen.
Görg zeigt Menschen, die im Ringen um ihr Selbstbild zwischen Lächerlichkeit und Tragik schwanken, ohne sie dabei zu moralisieren oder in ein Schwarz-Weiß-Schema zu pressen.
Die Freie Bühne Wieden setzt diesen Text mit klarem Blick und wohltuender Zurückhaltung um. Das Ergebnis ist ein konzentrierter Theaterabend, der ohne große Effekte auskommt und durch Sprache und Spiel überzeugt. Ein Beispiel dafür, wie politisches Theater aktuell und relevant bleibt, kann ohne den Zeigefinger zu erheben.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Wolfgang Springer