07.05.2024 - Freie Bühne Wieden/ Wien
BRIGITTE BORDEAUX
Österreichische Erstaufführung
Am 7. Mai feierte BRIGITTE BORDEAUX des 1988 in Ludwigshafen geborenen Sergej Gößner unter der Bearbeitung von Nici Neiss seine österreichische Erstaufführung in der „Freien Bühne Wieden“.
Die Story:
Herbert A. Steinriegel ist erfolgreicher Winzer, Familienvater und engagiert sich in diversen Vereinen. Mit Ende 50 offenbart er seiner Familie, dass er ab nun an eine Frau sein möchte und fortan Brigitte genannt werden möchte. Sein Umfeld reagiert kontrovers auf sein Outing, denn er scheut sich nicht, die Öffentlichkeit mit seinem neuen Ich zu konfrontieren. Zuletzt strebt sie sogar den Titel der Winzerkönigin an. Ihr wird große mediale Aufmerksamkeit geschenkt, die ihr schmeichelt und gefällt. Doch von den Dorfbewohnern wird sie und seine Frau denunziert. Moni leidet sehr darunter, steht aber hinter ihm und seiner Entscheidung, obwohl sie es nicht versteht. Doch unter dem Druck der Presse beugt sich auch die Dorfgemeinschaft und er offenbart in einer großen Rede seine wahren Beweggründe.
Alfons Noventa als Herbert/ Brigitte gibt seiner Rolle Tiefe und große emotionale Kraft. Sein Outing ist wie das Häuten einer Schlange. Seine Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste, die stets mitschwingen, bekämpft er beherzt für die entscheidende Wendung in seinem Leben und sucht dennoch Verständnis und Unterstützung seiner Frau und seinem Sohn.
Sabine Muhar als Moni berührt als verletzte und irritierte Ehefrau. Sie wird unverschuldet zur Außenseiterin und erträgt es mit Würde. Sie steht hinter ihrem Mann. Ihre Liebe ist tiefer, betrachtet die neue Situation aber auch mit Sarkasmus. Ihre unausgesprochenen und unterdrückten Emotionen, die sie mit Gesten und Mimik kund macht, machen ihr Spiel so mitreißend. Sie zeigt großes Verständnis im Gegensatz zu seinem Sohn.
Wilhelm Preinsack überzeugt als erzkonservativer Sohn. Für ihn bricht seine heile Welt zusammen. Er versteht weder seinen Vater, noch seine Mutter. Mit aller Macht versucht er den für ihn erscheinenden richtigen Zustand zurückzuerlangen. Doch alle Mühen sind vergebens. Da hilft kein Zureden oder Zynismus.
Sandra Högl als seine Freundin ist der Sonnenschein und versucht immer das Positive zu sehen und stellt sich auch auf die neue Situation ein.
Bis auf Alfons Noventa übernehmen alle Protagonistinnen und Protagonisten mehrere Rollen, wie die tratschenden Dorfbewohner, Bürgermeister oder eine übermotivierte Journalistin. Das statische Bühnenbild ist mittels Paletten-Kisten wandlungsfähig. Mal sind sie Esstische und Bestuhlung, dann Rednerpult oder Telefonplätzchen und Kommode. Bühnenbild und Kostüme spiegeln die allgemeine biedere Einstellung der Dorfbewohner wider.
Sensibel fasst das Stück das Thema Transsexualität, die damit verbundenen Konflikte und das in eine Randgruppe hineingedrängt werden, zusammen. Wer bestimmt aber, was „normal“ ist? Sollten wir Menschen nicht so leben können, wie wir möchten, solange wir den Nächsten damit nicht schaden? Macht nicht gerade diese Vielfalt unsere Gesellschaft aus.
Neben den gespielten Szenen, wird auch eifrig und durchaus passabel gesungen und von Christian Höller musikalisch am Akkordeon bergleitet. Lieder wie („Heut´ kommen d´Engerln auf Urlaub nach Wean“, „A Mensch mecht i bleib´n“, „Weusd a Herz hast wie a Bergwerk“, u.a.) lockern die Geschichte nicht nur auf, sondern sind wunderbare heitere oder auch nachdenklich stimmende Ergänzungen.
BRIGITTE BORDEAUX ist ein humorvolles, sarkastisches und kontroverses Stück. Das Premieren-Publikum war gespalten. Durch die emotionale und starke schauspielerische Umsetzung, sensibilisiert es die Zuschauer:innen. Nicht nur der Geoutete, sondern auch die nächsten Angehörigen wissen zunächst nicht, wie sie damit umgehen und was sie fühlen sollen.
Das Premieren-Publikum zeigte sich gespalten. Von „selten so einen großartigen Theaterabend erlebt“ bis „den größten Mist, den ich je gesehen habe“, waren viele unterschiedliche Meinungen zu hören.
Wer sich jedoch offen zeigt, wird mit BRIGITTE BORDEAUX einen vergnüglichen Theaterabend mit Tiefgang erleben.
Die gesellschaftskritische Komödie ist noch bis zum 25. Mai 2024 in der „Freien Bühne Wieden“ zu sehen.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Robert John Peres
Mehr Infos unter: www.freiebuehnewieden.at