02.07.2025 - Tschauner Bühne/ Wien
Der eingebildete Kranke -
Das Musical
Die Tschauner Bühne wagt sich in dieser Sommersaison an einen Klassiker mit erfrischender Leichtigkeit. Molières DER EINGEBILDETE KRANKE, gänzlich neu interpretiert als Musicalfassung von Florian Stanek (Text) und Sebastian Brand (Musik), feierte am 2. Juli 2025 seine Premiere. Entstanden ist ein pointiert inszeniertes, rhythmisch präzises und temporeiches Bühnenerlebnis, das gekonnt zwischen Slapstick, Gesellschaftssatire und musikalischem Entertainment pendelt und dabei erstaunlich souverän die Balance hält.
Die Handlung bleibt lose an Molières Original angelehnt, verlegt die Geschichte aber in ein fiktives „Kurhotel St. Moritz“ am Wiener Stadtrand. Dort verstricken sich Gesundheitswahn, Geldgier und Beziehungschaos auf absurde Weise. Anstatt den Stoff einfach ins Heute zu übertragen, entwirft das Kreativteam eine eigene, überhöhte Bühnenwelt, eine Entscheidung, die sich als Glücksgriff erweist. Die selbstironische Regie und der spürbare Ensemblegeist tragen wesentlich zur Wirkung bei.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Herr Wagner, ein wohlhabender, aber hypochondrischer Manager, der sein gesamtes Leben um seine vermeintlichen Krankheiten kreisen lässt.
Sein Gesundheitswahn treibt ihn so weit, dass er bereit ist, seine Tochter mit dem Sohn seines behandelnden Arztes zu verheiraten, einem angehenden Mediziner und Nachfolger in jenem Sanatorium, in dem Wagner derzeit sein Burnout kurieren lässt. Die Motivation dahinter ist, ständig ärztlichen Beistand im eigenen Haus zu haben. Doch seine Tochter liebt bereits einen anderen, ausgerechnet den Sohn von Wagners wirtschaftlichem Konkurrenten. Die Verwicklung ist vorprogrammiert.
Während Wagner sich immer tiefer in seine Krankheitsfantasien verstrickt, durchschaut seine schlagfertige Pflegerin Toni mit Witz, Mut und schauspielerischem Geschick das eigennützige Spiel der Ärzte und die Absichten seiner geldgierigen zweiten Ehefrau. In einer turbulenten Verkleidungskomödie nimmt sie Wagner gekonnt auf den Arm, mit dem Ziel, ihn zur Besinnung zu bringen.
Am Ende erkennt Wagner, dass er weniger medizinische Versorgung als vielmehr echte Zuneigung und zwischenmenschliche Nähe braucht und gibt schließlich dem Wunsch seiner Tochter nach einer Liebesheirat seinen Segen.
In der zentralen Rolle brilliert Martin Oberhauser als Manager Wagner, der titelgebende Hypochonder der Inszenierung. Mit feinem Timing und nuancierter Komik verleiht er der Figur Tiefe und vermeidet jede grobschlächtige Karikatur. Sein übersteigender Krankheitswahn wird dabei zum Sinnbild einer Gesellschaft, die lieber Symptome behandelt, als sich Konflikten zu stellen.
Auch das restliche Ensemble überzeugt mit solider Leistung und einzelnen Glanzmomenten.
Sarah Baum gestaltet die Tochter mit starker Bühnenpräsenz und klarer Gesangsstimme. Marina Petkov sorgt als resolute Pflegerin Toni für konstante Lacher und wird zum komischen Zentrum des Abends. Die Nebenfiguren, wie etwa der übergriffige Arzt (Markus Richter), Alexander Mikles in einer Doppelrolle oder die geldgierige Ehefrau (Sascha Ahrens) sind mit liebevoll überzeichneten Rollenbildern besetzt, ohne ins bloß Klamaukhafte abzugleiten.
Die Dialoge, und dabei speziell die Liedtexte, leben von sprachlichem Witz und fein dosierter Sozialkritik. Politische Seitenhiebe, etwa auf Abrechnungsbetrug, Scheintherapien oder Profitgier im Gesundheitswesen bleiben subtil, treffen aber ins Schwarze.
Musikalisch bietet die Produktion einen abwechslungsreichen Mix. Die Songs sind integraler Bestandteil des Geschehens, rhythmisch ausgefeilt, melodisch eingängig und dramaturgisch eingebettet.
Das Bühnenbild bleibt bewusst reduziert, die Atmosphäre des Freilufttheaters tut ihr Übriges. In klassischer Wiener Stegreiftradition wird das Publikum direkt angesprochen und teils aktiv ins Geschehen eingebunden.
Mit DER EINGEBILDETE KRANKE – DAS MUSICAL gelingt der Tschauner Bühne ein bemerkenswerter Spagat zwischen klassischem Stoff und zeitgenössischer Umsetzung. Die Produktion begegnet Molières Vorlage mit Respekt, aber ohne Ehrfurcht und nutzt sie als Ausgangspunkt für eine intelligente und musikalisch vergnügliche Auseinandersetzung mit Gesundheitswahn, Familienkonflikten und der Frage, wie man eigentlich leben will.
Ein kurzweiliger Abend, charmant, pointiert und überraschend aktuell.
DER EINGEBILDETE KRANKE - DAS MUSICAL ist noch bis 30. August auf der Tschauner Bühne zu erleben.
5 von 6 Sternen: ★★★★★ Kritik: Michaela Springer
Fotos: René Brunhölzl