12.11.2025 - Komödie am Kai/ Wien
FIT WIE EIN TURNSCHUH
Mit FIT WIE EIN TURNSCHUH präsentiert die Komödie am Kai die österreichische Erstaufführung eines Stücks, das sich souverän in die Tradition der klassischen Boulevardkomödie stellt und diese zugleich klug aktualisiert. Rene Heinersdorffs Text folgt den vertrauten Mechanismen des Genres, entfaltet aber dank präziser Figurenzeichnung und feinem Gespür für Zwischentöne eine unerwartet menschliche Tiefe. Das hohe Tempo, das kaum Atempausen erlaubt, bleibt dabei stets organisch. Regisseurinnen Sissy Boran und Andrea Eckstein steuern die turbulente Handlung mit sicherer Hand und feinem Rhythmusgefühl. Sie verbinden Slapstick, pointierte Dialoge und Momente des Innehaltens zu einer vielschichtigen, detailbewussten Inszenierung.
Im Mittelpunkt steht Johannes, 66 Jahre alt, vital, diszipliniert und lebensfroh. Nach der Übergabe seiner Firma an den Sohn genießt er sein selbstbestimmtes Leben im fünften Stock ohne Lift, ein sprechendes Sinnbild seiner Energie. Als Sohn Armin plötzlich mit der Nachricht vom Bankrott des Familienbesitzes auftaucht, gerät die geordnete Welt ins Wanken. In seiner Verzweiflung ersinnt Armin eine groteske Rettungsstrategie. Er hat für den quicklebendigen Vater eine Pflegestufe beantragt, um finanzielle Unterstützung zu erschleichen. Kaum ist der Plan ausgesprochen, steht schon die Gutachterin vor der Tür und ein Lügenkarussell aus Täuschung, Bürokratie und moralischer Schieflage nimmt Fahrt auf.
Aus dieser aberwitzigen Ausgangssituation entwickelt sich ein raffiniert konstruiertes Spiel zwischen Wahrheit und Simulation, Pflichtgefühl und Gier. Die Komik entsteht nicht allein aus Situationswitz, sondern aus den feinen Brüchen der Figuren, aus ihrer Unsicherheit und Selbsttäuschung.
Zentraler Angelpunkt der Aufführung ist Eva-Christina Binder als Gutachterin Sylvia. Ihre Figur, eine Mischung aus Bürokratin, Therapeutin und Richterin verkörpert das System, das prüft, bewertet und normiert. Binder spielt mit chirurgischer Präzision und trockenem Humor, jeder Blick, jede Geste ist kalkuliert und doch nie mechanisch. Hinter der kontrollierten Fassade schimmert leise Menschlichkeit, ein Riss im scheinbar unfehlbaren System. So wird Sylvia zur Spiegelung der gesellschaftlichen Ambivalenzen zwischen Effizienz und Empathie.
Victor Kautsch gibt den Sohn Armin als Getriebenen, dessen Überforderung zunehmend sichtbar wird. Seine Darstellung ist körperlich intensiv, impulsiv und zugleich berührend verletzlich. In den Momenten, in denen die Farce ins Tragische kippt, zeigt Kautsch die Erschöpfung einer Generation, die ständig unter Druck steht, Erwartungen zu erfüllen.
Robert Mohor als rüstiger Rentner Johannes trägt die Inszenierung mit großer Souveränität. Er zeichnet die Figur mit feiner Ironie und menschlicher Wärme, als Mann, der seinen Körper diszipliniert, ohne seine Leichtigkeit zu verlieren. Mohor findet die Balance zwischen Energie und Verletzlichkeit, seine komödiantische Präzision und das perfekte Timing verleihen der Figur Charme und Glaubwürdigkeit. Besonders stark sind jene Szenen, in denen das Selbstbild des „fitten Mannes“ in einen Pflegefall verwandelt werden muss. Momente stiller Unsicherheit, die Mohor mit wohldosierter Zurückhaltung gestaltet.
Wilhelm Prainsack ergänzt das Ensemble als Nachbar Max, eine Figur zwischen neugieriger Anteilnahme und ungebetener Einmischung. Mit lebhafter Präsenz und pointiertem Sprachwitz bringt er Bewegung und Leichtigkeit ins Spiel, ohne zu ironisch zu wirken. Prainsack versteht das Genre, er überzeichnet nie, sondern hält stets die Balance zwischen Satire und Authentizität.
Das Bühnenbild von Martin Gesslbauer setzt auf klare und starre Strukturen.
Die Stärke dieser Inszenierung liegt in der Überhöhung des Alltäglichen. Das Lachen entsteht weniger aus Spott als aus Wiedererkennung, aus den kleinen menschlichen Fehlleistungen, mit denen die Figuren versuchen, Haltung zu bewahren. So verwandelt sich die Komödie in eine feinsinnige Studie über Kontrollverlust, Anpassung und die Absurditäten bürokratischer Logik.
FIT WIE EIN TURNSCHUH an der Komödie am Kai ist ein Abend voller Tempo, Timing und präziser Ensemblearbeit, eine Komödie mit Substanz, die ihre Leichtigkeit ernst nimmt und ihr Publikum mit einem warmen, federnden Nachhall entlässt.
Bis 24. Jänner 2026 ist das Stück noch in der Komödie am Kai zu sehen.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Komödie am Kai















