30.10.2024 - Hamburger Operettenhaus
&JULIA
Deutschsprachige Erstaufführung
Das Musical mit Hitkonzert-Atmosphäre: &JULIA begeistert in Hamburg!
Seit dem 30. Oktober 2024 ist das neueste Musical der Stage Entertainment mit der Grammy-preisgekrönten Musik von Max Martin und dem Buch des Emmy-prämierten Autors David West Read in namhafter Besetzung im Hamburger Operettenhaus zu sehen. Skeptisch waren wir zunächst trotzdem: Braucht es wirklich ein weiteres Jukebox-Musical in der Hansestadt? Haben die Theaterbühnen dieser Welt nicht schon genügend Neuinterpretationen des Shakespeare Klassikers "Romeo und Julia" gesehen? Warum das Stück unter der Regie von Luke Sheppard diese Zweifel bereits nach dem ersten Akt scheinbar mühelos beiseite wischte und uns spätestens beim Finale des zweiten restlos begeistert in den Abend entließ, haben wir hier für euch zusammengefasst.
Das Musical beginnt, wo seine berühmte Vorlage endet: Mit Romeos (Raphael Groß) Tod. Während die Zuschauer*innen auf einer äußeren Erzählebene William Shakespeare (Andreas Bongard) dabei zusehen, wie er an dem tragischem Ende der Romanfiguren feilt, mischt sich – ganz zum Unmut des von sich und seinem Werk äußerst überzeugten Schriftstellers - seine Frau Anne Hathaway (Willemijn Verkaik) in den kreativen Prozess ein. Frustriert von ihrer eigenen Rolle als Ehefrau und Mutter im 16. Jahrhundert stellt sie nicht nur ihrem Mann, sondern auch dem Publikum die Frage, die die Handlung des Stückes ins Rollen bringt: Was wäre, wenn sich Julia nach Romeos Tod für das Leben entscheidet? Damit lässt sie das Ende der berühmten Liebesgeschichte ihres Mannes zum Beginn der inneren Erzählebene, einer rasant-bunten Komödie rund um Julia, ihre*r Freund*in Mae (Bram Tahamata) und Amme Angelique (Jaqueline Braun) werden. Im Handlungsverlauf konfrontiert das Musical seine Figuren und die Zuschauenden gleichermaßen mit auf deutschen Musicalbühnen sonst (noch) eher selten zu findenden Themen: Diversität, weibliches Empowerment und der Ausbruch aus toxischen Beziehungen begleiten hier die Suche einer jungen Frau nach ihrem eigenen, selbstbestimmten Weg und dem Lebensgefühl, sich und der Welt genug zu sein.
Neben der überzeugenden Handlung wird das Musical vor allem von der Musik von Max Martin und seinen großen Pop Hymnen der 90er und 2000er getragen. Von Martin selbst neu arrangiert, geben sie dem Soundtrack eine eigene Identität und fügen sich perfekt in die Bühnenhandlung ein. Songs wie „Since U Been Gone“ von Kelly Clarkson, „Roar“ und „I Kissed A Girl“ von Katy Perry und „Larger than life“ von den Backstreet Boys sorgen so nicht nur dafür, dass die Charaktere an überraschender Tiefe gewinnen, sondern verwandeln das Operettenhaus zeitweise in ein Live-Konzert, dessen Stimmung das Publikum wortwörtlich aus den Sitzen reißt. In Kombination mit hervorragend harmonierenden Lichteffekten, einer mitreißenden Choreographie und einem Bühnenbild, das Elemente aus Theater und Popkonzert kombiniert, entsteht ein punktgenauer Genre Mix zwischen Theater und Konzert. Abgerundet durch eine -stimmlich wie schauspielerisch – durchweg überzeugende Cast entsteht so eine energiegeladene Atmosphäre, die im Verlaufe des Stückes stetig mitwächst und den Saal auf ihrem Höhepunkt zum Beben bringt.
Chiara Fuhrmann übernimmt die Rolle der Julia Capulet und damit erstmals eine Titelfigur. Treffender hätte diese Wahl wohl kaum ausfallen können: Die Absolventin der Joop van den Ende Academy zeigt eine facettenreiche Julia, die eigenen Unsicherheiten begegnen und zu sich selbst finden muss. Nahbar und sympathisch, aber nicht minder energetisch und stimmgewaltig wächst sie mit ihrem Charakter auf der Bühne mit, ohne an Authentizität zu verlieren. Damit schafft Fuhrmann viele Identifikationsmomente und sorgt für stehende Ovationen im Saal.
Willemijn Verkaik beweist in der Rolle der Anne Hathaway nicht nur einmal mehr, warum sie zur absoluten Top Garde der internationalen Musicalgrößen zählt. Sie zeigt hier außerdem eine eher ungewohnte Facette als komödiantische Figur, die ein bisschen aus der Zeit zu fallen scheint, in der sie mit Julia und Mae unterwegs ist. Dabei hat Verkaik sichtlich Spaß und sorgt nicht nur für stimmliche Höhepunkte, sondern auch für Lacher im Publikum.
Ähnliches gilt für Andreas Bongart, der einen äußerst selbstverliebten, aber sehr sympathischen Shakespeare präsentiert, der hervorragend mit Verkaik harmoniert und die Stimme einer Generation verkörpert, die mit Neuerungen zunächst ihre Probleme zu haben scheint.
Raphael Groß erschafft einen charmanten, dynamischen Romeo, der gleichermaßen aus Shakespeares Roman und einer Boyband entsprungen sein könnte. Damit bringt er im zweiten Akt eine erfrischende Energie auf die Bühne und sorgt für viel Chaos, ohne dabei an Sympathie zu verlieren.
Der gesamten Cast ist die Freude am Spiel auf der Bühne deutlich anzumerken. Auch die hier nicht genannten Rollen wurden hervorragend besetzt und erschaffen im Zusammenspiel die Energie, die diese Inszenierung so auszeichnet. &JULIA im Operettenhaus ist für uns nicht nur die Überraschung des Jahres, sondern das Jukebox Musical, das Hamburg wirklich gebraucht und auf dem Kiez ein hervorragendes Zuhause gefunden hat. Wir finden: Der bisher vielversprechendste Versuch der Stage Entertainment, junge Menschen ins Theater zu locken. Hoffentlich mit Erfolg.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Laura Schumacher;
Fotos: Johan Persson/ Stage Entertainment