Liparit Avetisyan, Cristina Pasaroiu; (c) Anna Stöcher

01.07.2025 - Heumarkt/ Wien

LA TRAVIATA – 
Ein zeitloses Meisterwerk zwischen Glanz und Tragik

Bereits im zweiten Jahr hat sich der Wiener Opernsommer als fester Bestandteil der heimischen Kulturlandschaft etabliert, ein Treffpunkt für Opernliebhaber, die große Musik im sommerlichen Ambiente genießen wollen.
Mit Giuseppe Verdis LA TRAVIATA am Wiener Heumarkt, am Rande des Konzerthauses und wo im Winter die Eisläufer:innen ihre Kreise ziehen, gelingt dem Festival eine eindrucksvolle Sternstunde. Die Produktion überzeugt durch musikalische Raffinesse, emotionalem Musiktheater und einem stimmigen Gesamtkonzept, das noch lange nachwirkt.

(c) Anna Stöcher

Giuseppe Verdis LA TRAVIATA gehört zu beliebtesten Opern der Welt. Das Werk, uraufgeführt 1853 in Venedig, verbindet eine berührende Liebesgeschichte mit packender und emotionaler Musik.

Im Mittelpunkt steht die Pariser Kurtisane Violetta Valéry, eine starke, komplexe Frauenfigur, die zwischen wahrer Liebe, gesellschaftlichen Zwängen und tödlicher Krankheit zerrieben wird.

Die Arie „Sempre libera“ ist eine virtuose Herausforderung, während das berühmte „Brindisi“ (Trinklied) den leichten, festlichen Glanz des Pariser Salons einfängt. Doch hinter der schillernden Fassade liegt eine gnadenlose Gesellschaftskritik: Verdi zeigt schonungslos, wie Moralvorstellungen und Konventionen ein Individuum zerstören können.

Cristina Pasaroiu, Liparit Avetisyan; (c) Anna Stöcher


Die Sopranistin Cristina Pasaroiu gibt in der Rolle der Violetta eine Glanzleistung ab. Mit klarer Stimme, technischer Sicherheit und berührender Ausdruckskraft gestaltet sie die Titelpartie nuanciert und facettenreich. Ihre Interpretation ist von großer innerer Spannung getragen. Zwischen mondäner Leichtigkeit und verzweifelter Hingabe changiert Pasaroiu mühelos und lässt Violettas Tragik eindringlich spürbar werden. Vor allem in den lyrischen Rückzugsmomenten wirkt ihr Gesang berührend intim, ohne je an vokaler Präsenz einzubüßen.

An ihrer Seite überzeugt Liparit Avetisyan als Alfredo Germont mit tenoraler Wärme und kluger Zurückhaltung. Besonders die Duette mit Violetta geraten zu emotionalen Höhepunkten, getragen von einer stimmlichen Ausgewogenheit, die ebenso musikalisch wie darstellerisch glaubwürdig ist.

Thomas Weinhappel, Cristina Pasaroiu; (c) Anna Stöcher

Ein besonderes Glanzlicht setzt Thomas Weinhappel in der Rolle des Giorgio Germont, dem Vater von Alfredo. Weit entfernt vom Stereotyp des starren Patriarchen, verleiht er der Figur emotionale Tiefe und ambivalente Vielschichtigkeit. Mit warmem Timbre, kontrollierter Phrasierung und souveräner Bühnenpräsenz macht er den inneren Konflikt zwischen gesellschaftlicher Norm und väterlicher Verantwortung eindrucksvoll greifbar.
Das Duett mit Violetta voller gespannter Zurückhaltung und ungesagter Emotion offenbart nicht nur die Tragik der Situation, sondern auch das feine psychologische Gespür dieser Inszenierung. Weinhappel zeigt einen Germont, der nicht richtet, sondern ringt und macht damit deutlich, wie zeitlos Verdis Figuren gezeichnet sind.

Karl Markovics; (c) Anna Stöcher

Ein kluger inszenatorischer Kunstgriff ist die Integration von Karl Markovics als Giuseppe Verdi, nicht als handelnde Figur, sondern als stille, beobachtende und erzählende Instanz. Mit sparsamen, aber wirkungsvollen Auftritten umrahmt Markovics als personifizierter Komponist die Handlung, durchbricht punktuell die vierte Wand und verleiht der Aufführung eine zusätzliche reflektierende Ebene.
Sein Spiel getragen von großer Präsenz und bewusstem Understatement eröffnet dem Publikum die Möglichkeit, LA TRAVIATA als ein zutiefst persönliches Werk Verdis zu begreifen, als Auseinandersetzung mit Verlust, Konvention und Mitgefühl. Die Figur des Komponisten wird so zum emotionalen Resonanzkörper der Inszenierung klug, diskret und eindringlich zugleich.

Thomas Weinhappel, Liparit Avetisyan; (c) Anna Stöcher

Die Bühne, atmosphärisch eingebettet in das sommerliche Flair nutzt die natürliche Kulisse als poetischen Resonanzraum. Mit wenigen, gezielt eingesetzten Mitteln wird eine dichte Atmosphäre geschaffen, die das Innenleben der Figuren auch ohne visuelle Überladung spürbar machen.
Auch die Kostüme bleiben der historischen Verortung verpflichtet. Insgesamt entsteht ein Raum, der Musik und Emotionen frei entfalten lässt.

(c) Anna Stöcher

Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Joji Hattori präsentiert sich in bestechender Form.
Trotz der Herausforderungen der Freiluftakustik überzeugt das Ensemble durch klangliche Differenzierung, dynamische Feinabstimmung und sensibles Zusammenspiel. Von den perlenden Walzerrhythmen des ersten Aktes bis zu den düsteren Steigerungen im Finale wird Verdis Partitur mit dramaturgischem Feingespür und musikalischer Tiefe interpretiert.

Diese LA TRAVIATA ist weit mehr als nur eine sommerliche Opernproduktion, sie ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich große Musiktheater auch unter freiem Himmel verwirklichen lässt, vorausgesetzt, künstlerische Qualität, kluge Regie und atmosphärische Dichte greifen so überzeugend ineinander wie hier. Der Wiener Opernsommer hat mit dieser Produktion ein kraftvolles Zeichen gesetzt, musikalisch, szenisch und emotional.

LA TRAVIATA ist noch bis 19. Juli am Heumarkt zu sehen.

Im Sommer 2026 wird die feurige CARMEN von Georges Bizet den Besucher:innen einheizen.

5 von 6 Sternen: ★★★★★        Kritik: Michaela Springer

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Fotos: Michaela Jaros

www.opernsommer.at     *     Doku über Joji Hattori im ORF



 

 

 

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