Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch

27.09.2025 - Scala/ Wien 

LEONCE & LENA
Komödie von Georg Büchner

Georg Büchners LEONCE & LENA ist ein Stück, das auf dem schmalen Grat zwischen Leichtigkeit und Schwermut wandelt. Die aktuelle Inszenierung des Theater des Fürchtens in der Scala Wien greift diese Doppelbödigkeit klug auf und übersetzt sie in eine Mischung aus zarter Ironie und poetischem Spiel. Die Regie, geführt von Vanja und Peter Fuchs, setzt auf Reduktion und gewinnt dadurch an Ausdrucksstärke.

Im Zentrum steht der gelangweilte Prinz Leonce, der eine ihm unbekannte Prinzessin heiraten soll. Auch Lena, die zukünftige Braut, sehnt sich nach einem anderen Leben. Beide fliehen und begegnen sich unterwegs, ohne voneinander zu wissen. Sie verlieben sich und kehren schließlich als Paar zurück, womit sie unbeabsichtigt die Pflicht erfüllen, der sie entkommen wollten.

Thomas Marchart, Christina Saginth

Diese ironische Wendung bildet auch hier den Kern der Aufführung, Die romantische Flucht endet nicht in Freiheit, sondern führt zurück in die gesellschaftliche Ordnung, deren Strukturen unverändert bleiben.

Die Regie arbeitet mit einer klaren, beinahe minimalistischen Bildsprache. Bühne und Kostüme sind bewusst zurückhaltend gestaltet - klare Linien, sparsame Symbolik, ein reduziertes Farbspektrum. Diese formale Strenge eröffnet den Darstellenden einen weiten Raum, um die innere Zerrissenheit der Figuren sichtbar zu machen.
So entsteht ein Spiel, das zugleich komisch wie nachdenklich wirkt. Die leise Komik vieler Szenen trägt stets einen Hauch von Traurigkeit, ein deutlicher Verweis auf Büchners scharfe Gesellschaftskritik. Besonders in den Szenen mit Valerio, wenn er seine Beobachtungen in lakonischem Ton vorträgt, schwingt diese Doppeldeutigkeit zwischen Witz und Bitterkeit mit.

Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch

Die Stärke der Inszenierung liegt im Ensemble, das den Spannungsbogen zwischen romantischem Spiel und satirischem Kommentar trägt.
Leonce (Adrian Stowasser) verkörpert die existenzielle Langeweile des Prinzen eindringlich. Sein Spiel wechselt zwischen sarkastischer Distanz und plötzlichen Ausbrüchen von Lebenslust, ein Körperausdruck, der den inneren Zwiespalt der Figur sichtbar macht.

Lena (Viktoria Hillisch) erscheint als selbstbestimmte, eigenwillige junge Frau, die in der Begegnung mit Leonce nicht in Passivität verfällt. In den Dialogen zwischen beiden entsteht ein Spannungsverhältnis, das weit über konventionelle Romantik hinausgeht.

Valerio (Thomas Marchart), der Freund von Leonce ist das heimliche Herzstück der Aufführung. Mit feinem Spott und zugleich menschlicher Wärme hält er der Gesellschaft den Spiegel vor und liefert komödiantische Höhepunkte, ohne ins Groteske zu kippen.

Besonders hervorzuheben ist, wie auch die Nebenfiguren aus der Typenhaftigkeit gelöst werden und zu komplexen Charakteren heranwachsen.

Christoph Prückner

König Peter (Christoph Prückner) wird nicht als Karikatur gezeichnet, sondern als unsicherer Monarch, der zwischen Pflichtbewusstsein und Überforderung schwankt. Seine Auftritte zeigen einen Herrscher, der selbst zum Gefangenen seiner Rituale wird, ein subtiles Bild für die Erstarrung der Macht.

Die Gouvernante (Christina Saginth) steht für Erziehung und gesellschaftliche Kontrolle. Hier wird sie weniger als moralische Instanz, sondern eher als Mitgestalterin des Systems inszeniert, fürsorglich und restriktiv zugleich.

Anaïs Marie Golder, Adrian Stowasser

Rosetta (Anaïs Marie Golder), die Geliebte des Prinzen, gewinnt eine unerwartete Vielschichtigkeit. Sie ist nicht nur die Verführerin, sondern auch eine Figur voller Zweifel und innerer Brüche. In ihr spiegelt sich das Zusammenspiel von Liebe, Macht und Manipulation.

Die Inszenierung vermeidet Überfrachtung und arbeitet stattdessen mit Tempo und Präzision. So entfaltet sich Büchners Komödie in ihrer absurden, grotesken, aber auch zutiefst melancholischen Dimension. Besonders stark sind jene Momente, in denen das Lachen im Halse stecken bleibt und der satirische Kern des Stücks spürbar wird.

Viktoria Hillisch, Christina Saginth

Die Regie macht deutlich, dass LEONCE & LENA keine harmlose Liebeskomödie ist. Die Sehnsucht der beiden Hauptfiguren nach Selbstbestimmung scheitert nicht an äußeren Zwängen allein, sondern vor allem an innerer Lähmung und Zufall.
Das Finale verweigert sich einem harmonischen Abschluss. Auch wenn Leonce und Lena nun vereint sind, kehren sie in ein System zurück, das sich nicht verändert hat. Diese bittere Note verleiht dem Abend eine zeitlose Relevanz.

Die Scala-Inszenierung von LEONCE & LENA ist eine präzise, kluge und atmosphärisch dichte Interpretation. Sie verbindet poetisches Spiel mit scharfer Gesellschaftsanalyse und zeigt Figuren, die keine bloßen Typen sind, sondern Menschen mit Widersprüchen.
König, Rosetta und Gouvernante tragen entscheidend dazu bei, dass das Stück seine satirische Kraft behält und verdeutlichen, wie aktuell Büchners Fragen nach Macht, Freiheit und gesellschaftlichen Zwängen auch heute noch sind.
Ein Abend, der lange nachhallt und Büchner in seiner ganzen Modernität ernst nimmt.

5 von 6 Sternen: ★★★★★
                   Kritik: Michaela Springer; Fotos: Bettina Frenzel

  • Christoph Prückner, Ensemble
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart1
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart, Ensemble
  • Viktoria Hillisch, Ensemble
  • Viktoria Hillisch, Christina Saginth1
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart2
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart3
  • Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch
  • Adrian Stowasser, Viktoria Hillisch4
  • Adrian Stowasser, Thomas Marchart, Christina Saginth, Viktoria-Hillisch
  • Adrian Stowasser
  • Adrian Stowasser1
  • Christoph Prückner
  • Viktoria Hillisch, Christina Saginth


www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala/



 

 

 

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