30.10.2025 - Theater Akzent/ Wien

SAMT UND SEIDE

Mit SAMT UND SEIDE präsentiert das Theater Akzent eine moderne Neuinterpretation von Üzeyir Hadschibäjlis Operettenklassiker „Arşın mal alan“ (Der Tuchhändler). Regisseurin Rita Sereinig überführt den Stoff in die Gegenwart, in eine Welt, in der Mode, Selbstinszenierung und digitale Identität zu zentralen Themen werden. Aus dem traditionellen Liebesreigen um gesellschaftliche Konventionen wird ein Musical über Selbstfindung, Rivalität und den Wunsch nach Authentizität.


Die Handlung spielt in der glitzernden Welt der Baku Fashion Week. Im Mittelpunkt steht Äsgär, Geschäftsführer eines traditionsreichen Textilunternehmens, der davon träumt, Modedesigner zu werden. Zwischen familiären Erwartungen und künstlerischem Drang sucht er nach seinem Platz im Leben. Seine Tante Dschahan und die Freunde Väli und Süleyman begleiten ihn auf dieser Suche, teils als Unterstützer, teils als Spiegel seiner inneren Zerrissenheit.

James Park, Bianca Basler

Unter dem Pseudonym „Sarvar“ tritt Äsgär schließlich auf der Fashion Week auf und begegnet Gültschöhrä, der Tochter seines Konkurrenten Soltan Bey. Was im Original eine arrangierte Brautsuche war, wird hier zu einer Begegnung zweier junger Menschen, die sich aus familiären und gesellschaftlichen Zwängen befreien wollen. Zwischen Laufsteg, Social Media und Modehäusern entfaltet sich ein „Catwalk der Gefühle“, auf der Liebe, Ehrgeiz und Identität untrennbar miteinander verwoben sind. Am Ende verschmelzen nicht nur zwei Herzen, sondern auch zwei rivalisierende Modeimperien, ein symbolischer Akt der Versöhnung.

Rita Sereinig kleidet die klassische Operettenstruktur in ein modernes Musicalgewand, wo allzu häufig die digitalen Bezüge („Wischen“, „Alexa“, Social-Media-Szenen) überdeutlich wirken, was in Kombination mit den weiterhin im Stück belassenen familiären Strukturen aus dem 19. Jahrhundert schwer nachvollziehbar sind. Weniger wäre hier tatsächlich mehr gewesen. Die Modewelt dient jedoch nicht bloß als bunter Schauplatz, sondern als vielschichtige Metapher. Äußere Eleganz trifft auf innere Sehnsucht, Schein auf Sein, Oberfläche auf Substanz.

David Mannhart, Lucia Miorin

Christian Ariel Heredias Bühnenbild und die Kostüme von Vüsal Rahim schaffen eine visuelle Opulenz, die das Spannungsfeld zwischen Tradition und Avantgarde atmosphärisch verdichtet. Die choreografisch gestalteten Laufstegsequenzen sind rhythmisch präzise und ästhetisch durchkomponiert Momente, in denen Musik, Bewegung und Bild zu einem geschlossenen Ganzen verschmelzen.

Im Zentrum der Produktion steht James Park als Äsgär - eine Idealbesetzung. Mit klarem Timbre, technischer Souveränität und charismatischer Präsenz trägt er die Inszenierung. Park versteht es, Charme, Ironie und Aufrichtigkeit zu verbinden und verleiht der Figur eine glaubwürdige Modernität.

Caroline Hat, Lukas Karzel

Bianca Basler als Gültschöhrä begegnet ihm mit Spielfreude und emotionaler Präzision. Ihre Interpretation betont die Eigenständigkeit der Figur, die sich gegen patriarchale Strukturen behauptet. In den hohen Lagen klingt ihre Stimme mitunter angestrengt, doch szenisch überzeugt sie durch Präsenz und glaubwürdiges Spiel.

Ramin Dustdar als Soltan Bey setzt mit markanter Stimme und feinem komödiantischem Gespür Akzente. Seine Darstellung bleibt stets kontrolliert und menschlich, wodurch er der karikierten Vaterfigur Tiefe verleiht.

Murielle Stadlmann gestaltet die Rolle der Dschahan mit beeindruckender Bühnenautorität und feinem komödiantischem Gespür. Als tatkräftige, leicht exzentrische Tante verleiht sie der Inszenierung erdende Wärme und humorvolle Schärfe zugleich. Ihre Darstellung zeichnet sich durch pointierte Momente und stimmliche Klarheit aus. Sie wird zum emotionalen Bindeglied zwischen Tradition und Aufbruch.

Murielle Stadlmann

David Mannhart als Väli und Lukas Karzel als Süleyman sorgen für komödiantische Leichtigkeit und rhythmische Energie. Mannhart überzeugt mit lebendigem Spiel und sicherem Timing. Karzel bringt eine sympathische Mischung aus Lässigkeit und Spielfreude ein. Gemeinsam bilden sie ein dynamisches Duo, das die Handlung mit Charme und Witz auflockert, ohne zu sehr in bloße Slapstick-Muster zu verfallen.

Lucia Miorin überzeugt als Telli mit frischer Bühnenpräsenz. Sie gestaltet ihre Rolle mit lebendiger Natürlichkeit und bringt charmante Leichtigkeit in das Ensemble.

Caroline Hat als Asya verbindet tänzerische Präzision mit ausdrucksstarker Spielfreude. Ihre helle, agile Stimme fügt sich harmonisch in die Ensembleklänge, während ihr Spiel durch elegante Beweglichkeit und ein feines Gespür für Rhythmus besticht.

Ramin Dustdar

Das Ensemble insgesamt überzeugt durch geschlossene Spielführung und präzise Abstimmung. Die Balance zwischen Humor und Emotion gelingt ebenso, wie die Verbindung von stimmlicher Klarheit und darstellerischer Dynamik.

Unter der musikalischen Leitung von Michael Schnack entfaltet sich die Partitur mit Eleganz und Energie. Das Orchester bewegt sich souverän zwischen klassischem Operettenklang und moderner Musicalsprache. Schnack gelingt ein fein austarierter Klangdialog. Die Musik bleibt dem Geist des Originals verpflichtet, öffnet sich aber rhythmisch und harmonisch dem Heute, ein hörbarer Brückenschlag zwischen Tradition und Gegenwart.

Das Ergebnis ist ein kurzweiliges Musical, das vor allem in der musikalischen Bearbeitung und durch ein spielfreudiges Ensemble  unterhält und somit einzelne Schwächen in der Inszenierung vergessen lässt.

4 von 6 Sternen: ★★★★
         Kritik: Michaela Springer; Fotos: Andreas Svirak

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