22.03.2025 - Scala/ Wien
UNTEN DURCH
Eine Komödie vom Anfang des Friedens
Mit UNTEN DURCH schrieb Heinz R. Unger ein Theaterstück, das nicht nur den letzten Atemzug eines untergehenden Regimes abbildet, sondern auch das moralische Vakuum, das ihm vorausging. Die jüngste Inszenierung in der Scala unter der Regie von Marcus Ganser holt diesen Text mit bedrückender Klarheit und Dichte auf die Bühne.
Das Stück spielt im April 1945 in Wien. Während die Stadt von der Roten Armee erobert wird, flieht eine kleine Gruppe Zivilisten, darunter ein überzeugter Nazi, ein Mitläufer, ein Opportunist, aber auch politisch oder persönlich Verfolgte durch das weitverzweigte unterirdische Kanalsystem. In der Enge der Gänge wird nicht nur um das nackte Überleben gerungen, es geht um Schuld, Verantwortung, verdrängte Wahrheiten und ein kollektives Nicht-Wahrhaben-Wollen.
Unger zeigt keine Helden, sondern Menschen, die in einem System gelebt haben, das sie entweder gestützt, geduldet oder überlebt haben. Der Kanalschacht wird zur Metapher für die unterdrückte Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil am Schrecken der Zeit.
Das Bühnenbild besteht aus einem engen Gangsystem, das mit Licht und Ton so bespielt wird, dass klaustrophobische Dichte entsteht, ohne je ins Symbolische zu kippen. Geräusche von entfernten Detonationen, Hall und herabfallendes Geröll intensivieren die psychische Spannung.
Die Regie verzichtet auf jede Form moralischer Bewertung und vertraut auf die Kraft des Textes. Die Figuren sprechen nicht über ihre Schuld, sie zeigen sie, oft durch das, was sie nicht sagen.
Das Ensemble überzeugt durch eine geschlossene, starke Leistung.
Thomas Machart als Hannes Tannenbaum, ein bis jetzt untergetauchter Jude, ist der moralische Gegenentwurf zur Verlogenheit der Welt um ihn. Machart meidet jede Überzeichnung und baut gerade durch seine Zurückhaltung eine emotionale Spannung auf, die sich unmerklich, aber kraftvoll entfaltet. Sein Spiel gibt der Inszenierung ein menschliches Rückgrat und einen Hauch Hoffnung im Untergang.
Georg Kusztrich liefert mit seinem Herrn Böhm eine exakte und klug durchdachte Charakterstudie eines Systemsympathisanten, uneitel, präzise, beunruhigend realistisch. Er zeigt Böhm als jemanden, der nicht aus Bosheit, sondern aus Gewöhnung, Trägheit und Loyalität gegenüber der Ordnung handelt und diese kontrollierte Mittelmäßigkeit macht seine Darstellung so bedrückend. Eine Leistung, die lange nachwirkt.
Samantha Steppan als hochschwangere Maria Reitmeier bringt eine stille Tiefe ins Ensemble. Sie ist eine Suchende zwischen Anpassung und Aufbegehren.
Christina Saginth als Frau Zapletal wirkt wie ein soziales Seismogramm, genau und unbequem. Eine besonders starke Leistung.
Jörg Stelling gibt dem Hofrat Selznik einen beinahe tragikomischen Glanz. Zwischen Verwaltungsautorität und menschlicher Ratlosigkeit angesiedelt, zeigt er die Figur als Symbol eines Systems, das seine eigenen Ideale längst nicht mehr versteht. Eine präzise Miniatur eines untergehenden Apparats.
Fanny Alma Fuhs als Fräulein Elf, zeigt die jugendliche Naivität, die das Gute sieht und nicht aufgibt.
Im Laufe der Geschichte trifft das ungleiche Gespann auf den sarkastischen Kellner Toni Schmeiler, bissig gespielt von Philipp Stix. Er hat sich mit jede Menge Flaschen Wein im Keller verschanzt und sorgt für jede Menge zwischenmenschliche Spannungen.
Das Zusammenspiel der Figuren ist präzise choreografiert, jede Szene lebt vom Rhythmus der Sprache, dem Schweigen dazwischen, dem Blick ins Dunkel.
UNTEN DURCH zeigt, wie sich der politische Zustand eines Landes in den Haltungen seiner Bürger spiegelt. Die gegenwärtige Wiederaufnahme beweist, wie wichtig es ist, Stücke dieser Art nicht als Geschichtsstunde zu betrachten, sondern als Spiegel der Gegenwart.
Mit UNTEN DURCH gelingt eine erschütternde, klug reduzierte Auseinandersetzung mit dem Ende des Nationalsozialismus jenseits von Pathos. Die Inszenierung ist eindringlich, beklemmend und notwendiger denn je.
Noch bis 31.Mai im Theater Scala.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Bettina Frenzel
www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala/