25.10.2025 - Scala/ Wien
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Es gibt Theatertexte, die wie ein Brennglas wirken. Sie bündeln die Hitze menschlicher Beziehungen so intensiv, dass aus der kleinsten Flamme ein Flächenbrand entsteht. Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, 1966 mit Elizabeth Taylor und Richard Burton verfilmt, gehört zweifellos dazu und die neue Inszenierung in der Wiener Scala zeigt eindrucksvoll, wie kraftvoll ein solches Feuer auf kleinem Raum lodern kann.
Regisseur Rüdiger Hentzschel entscheidet sich gegen eine Modernisierung, keine ironische Brechung, stattdessen eine ungeschönte, präzise Konfrontation mit Albees sprachlicher Schärfe. In der Enge der Scala-Bühne entsteht ein Kammerspiel von beklemmender Intensität. Das Publikum ist der emotionalen Erosion zweier Menschen ausgeliefert, die längst zu Gegnern geworden sind.
Das Wohnzimmer von Martha und George wird hier zum Schauplatz einer Zerstörung in Zeitlupe. Das Publikum sitzt fast mitten im Geschehen und genau diese Nähe macht den Abend so eindringlich. Wenn Martha und George sich mit Worten zerlegen, bleibt kein sicherer Abstand mehr möglich.
Monica Anna Cammerlander verkörpert die Martha von irritierender Ambivalenz, zwischen überbordender Lebenslust und tiefer Einsamkeit. Sie spielt keine trinkfeste Furie, sondern eine klarsichtige, verletzliche Manipulatorin. Hinter jedem Ausbruch lauert Sehnsucht und gerade dieser Zwiespalt verleiht ihrer Darstellung eine beklemmende Wahrhaftigkeit.
Wolfgang Lesky als George bildet dazu den leisen, gefährlich glimmenden Gegenpol. Wo Martha lodert, kontrolliert er die Glut. Mit minimalen Gesten, ein Lächeln, das in Sekundenschnelle kippt, ein beiläufiger Griff zum Glas, der zur Drohung wird, zeichnet Lesky einen Mann, der kein Opfer, sondern Stratege ist. Das Duell der beiden wird so dicht, dass man als Zuschauer fast das Bedürfnis verspürt, Luft zu holen.
Auch das junge Paar, Nick (Benjamin Spindelberg) und Honey (Fanny Alma Fuhs), bleibt hier mehr als bloßes Spiegelbild. Spindelberg gibt dem ehrgeizigen Jungprofessor jene Mischung aus Charme und Unsicherheit, die ihn zum Spielball der Älteren macht. Fuhs’ Honey beginnt als nervöses Anhängsel, doch in Momenten plötzlicher Klarheit zeigt sich, dass sie das perfide Spiel längst durchschaut hat. Hentzschel öffnet hier einen klugen Subtext. Die Jüngeren sind nicht nur Opfer, sondern auch Spiegelbild und Warnung.
Der Regisseur weiß um den bitteren Humor in Albees Text. Das Lachen im Zuschauerraum kommt, doch es bleibt sofort im Hals stecken. Wenn Martha von dem imaginären „Sohn“ spricht, entlarvt sich das fragile Lügengebilde als existenzielle Notwehr. In diesen Momenten entfaltet das Stück seine volle Wucht. Die Illusionen, von denen Menschen leben, werden gnadenlos zerschlagen und doch erscheint ihre Notwendigkeit schmerzlich evident.
Die Scala-Produktion von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ist kein lautes, spektakuläres Theater. Sie ist präzise gearbeitete, psychologisch feinstoffliche Kammerkunst. Hentzschel vertraut auf die Kraft des Textes und auf ein Ensemble, das mit seltener Intensität spielt.
Am Ende verlässt man den Saal nicht pathetisch erschüttert, sondern nachdenklich. Wie viele Illusionen braucht es, um ein gemeinsames Leben auszuhalten? Und wer hat tatsächlich Angst davor, sie zu verlieren?
Ein Abend, der beweist, große Dramen brauchen keine große Bühne, nur Darsteller, die den Mut haben, einander und sich selbst bis zur Grenze zu entblößen.
Noch bis 14. November 2025 zu sehen.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Bettina Frenzel
www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala/