13.05.2025 - Freie Bühne Wieden/ Wien
WILLKOMMEN
Österreichische Erstaufführung
Die bunte Wohngemeinschaft rund um Sophie erlebt in der Inszenierung von WILLKOMMEN (vom Autorenduo Lutz Hübner und Sarah Nemitz) turbulente Zeiten. Benny, einer der Mitbewohner, geht für ein Jahr als Dozent nach New York und will sein freies Zimmer einer Flüchtlingsfamilie überlassen. Was als gutgemeinte Geste beginnt, bringt die unausgesprochenen Konflikte, Ängste und Haltungen der restlichen WG-Mitglieder unweigerlich an die Oberfläche. Die Produktion an der Freien Bühne Wieden unter der feinen Regie von Sam Madwar macht daraus einen spannungsvollen, aber auch humorvollen Theaterabend, getragen von einem eindrucksvollen Ensemble.
Niklas Zoubek gibt dem idealistischen Benny, einem Anglistikstudenten, eine charmante Selbstgewissheit, hinter der nach und nach Risse aufscheinen. Sein moralischer Anspruch trifft nicht nur auf Skepsis, sondern konfrontiert ihn auch mit seinen eigenen blinden Flecken. Einst Freund von Sophie, verlässt er sie eines Mannes wegen.
Anna Sophie Krenn überzeugt als temperamentvolle Sophie, die zwischen Vermittlung und Überforderung pendelt. Sie ist Fotografin und die Hauptmieterin der 200 m² Wohnung. Mit emotionaler Präsenz und präziser Körpersprache macht sie spürbar, wie sehr Sophies Idealismus auf dem Prüfstand steht. In ihren Szenen liegt oft ein subtiles Beben, das den inneren Zwiespalt ihrer Figur sichtbar macht.
Nici Neiss als pragmatische Verwaltungsangestellte Doro ist die älteste in der Gruppe und bringt mit trockenem Humor und pointierter Mimik Bodenständigkeit ins Ensemble. Ihre Rolle lebt vom Kontrast: Empathie trifft auf Realismus. Neiss gelingt es, diesen Widerspruch nie aufzulösen, sondern produktiv auszuspielen. Sie nimmt sich kein Blatt vor dem Mund, spricht sich klar gegen arabische Männer aus und untermauert dies mir den gängigen Klischees.
Georg Müller Angerer gibt dem zurückhaltenden Jonas eine stille Intensität. Er ist Betriebswirt bei einer Bank, spricht nicht viel, aber wenn, dann mit Gewicht. Seine Figur wird zur Projektionsfläche für das Publikum. Was denkt einer, der nicht sofort Position bezieht? Müller-Angerers Spiel bleibt offen, ohne beliebig zu wirken.
Anatol Rieger beeindruckt mit präzisem Timing und einer impulsiven Intensität, die seiner Figur Achmed, der als Mitarbeiter in einer Fahrradwerkstatt arbeitet, Autorität verleiht. In seiner Rolle, die zwischen Vermittler und Provokateur rangiert, gelingt es ihm, komplexe, innere Prozesse mit impulsiven Mitteln sichtbar zu machen. Seine Gestik, sein Blick und seine Redensart sprechen Bände. Anatol Rieger als echter Wiener mit türkischen Wurzeln versteht es, mit kleinen Verschiebungen große Spannungen zu erzeugen. Er bringt eine eigene Farbe in das Ensemble ein, die den Gruppenszenen zusätzliche Tiefe verleiht.
Helene Hütter wiederum gestaltet ihre Figur der von Achmed schwangeren Anna mit einer eindrucksvollen Mischung aus Verletzlichkeit und Widerstandskraft. Die Studentin der Sozialpädagogik ist idealistische Außenseiterin, bringt eine andere Energie in die WG-Dynamik – mal konfrontativ, mal abwartend, aber immer mit spürbarem innerem Antrieb. Ihre Figur wirkt nie naiv, sondern reflektiert, jemand, der mit voller Überzeugung handelt, aber dabei permanent aneckt. Besonders in den Momenten der Isolation oder stillen Enttäuschung entfaltet sie eine große emotionale Wucht, ohne je ins Sentimentale abzurutschen.
WILLKOMMEN an der Freien Bühne Wieden ist ein aktuelles Stück über unsere Toleranzgrenzen, unsere Ängste und unsere Widersprüche und ein Theaterabend, der vor allem durch die überzeugende Ensembleleistung besticht. Gesellschaftskritik mit Humor, Tiefgang und starker Schauspielkunst. So gelingt politisches Theater, das lange nachwirkt.
Gespielt wird noch bis 28. Mai.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Sam Madwar